Neonazis in Koblenz?

Am 9. November fand im Rahmen eines antifaschistischen Konzertes eine Infoveranstaltung zu Neonazis in Koblenz statt. Genau vor einem Jahr hatten Neonazis versucht, ein Konzert zu stören.

Die Rhein-Zeitung berichtete am 12.11.2012 über die Infoveranstaltung:

Szenekenner sagt: Neonazis sind in Koblenz aktiv

Koblenz – Sie sind zersplittert, mäßig aggressiv – aber es gibt sie: Nazis in Koblenz. Bei einer Veranstaltung im Metternicher Haus der offenen Tür (HOT) nahm Andreas Stein vom antifaschistischen Infobüro Rhein-Main die vorhandenen Strukturen unter die Lupe. Gleichzeitig wurde Kritik an den Behörden laut, die die Öffentlichkeit angeblich nicht ausreichend informierten und das Problem klein halten wollten.

Konkret gibt es nach Angaben des Kenners der regionalen Naziszene mehrere Cliquen und Kameradschaften, die in Koblenz und der Region verankert sind. „Teilweise sind das relativ große Gruppen wie die Bahnhofsclique, in denen sich auch einige Nazis aus dem Alkohol- und Schlägermilieu finden“, berichtet Andreas Stein. Übergriffe soll es bereits gegeben haben. Auch eine Clique aus Lützel habe im vergangenen Jahr bereits Leute verprügelt und Schaufenster eingeschlagen. Andere Gruppen seien wenig aggressiv, drifteten aber immer stärker in die harte Naziszene ab. „Noch gibt es keinen Treffpunkt, kein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl, aber wenn sich alle rechtsextremen Gruppierungen in Koblenz und Umgebung zusammenschließen, wäre das ein großes Problem“, warnt Stein. Als wenig handlungsfähig schätzt er derzeit die Koblenzer NPD ein, die vor allem als legaler Arm des „Aktionsbüros Mittelrhein“ in Erscheinung trete.

In den Fokus zu rücken seien auch Konzerte rechtsextremer Bands wie Blutkult aus dem Westerwald, gegen deren Untergrund-Pendant Kaltes Judenleder (KJL) nach einer Razzia im September Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden. Auch bei Auftritten der Hunsrücker Band Breakdown und von Exitus aus Ahrweiler treffen sich Rechtsgesinnte.

Aufmerksamkeit sei geboten, denn nicht erst seit den Aktivitäten des „Aktionsbüros Mittelrhein“, dem derzeit vor dem Koblenzer Landgericht der Prozess gemacht wird, gibt es Naziterror in der Region. Bereits 2011 wurde 29 Machern des braunen „Widerstand-Radios“ im Internet der Prozess gemacht. Im sogenannten Grillhütten-Prozess erhielten fünf rechtsextreme Schläger hohe Haftstrafen. „Viele Nazis sitzen derzeit in Untersuchungshaft oder sind angeklagt“, sagt Andreas Stein. Seiner Ansicht nach versuchten die Behörden, das offenkundig vorhandene Problem mit „knallharten Gerichtsverfahren“ in den Griff zu kriegen. Warnungen bereits im Vorfeld krimineller Handlungen suche man dagegen vergeblich.

So seien bereits 2003 bei dem Koblenzer Neonazi Sven Lobeck, einer zentralen Figur des „Aktionsbüros“, Waffen gefunden worden. Er trat bei Aufmärschen in Erscheinung, fand aber keine Erwähnung in den Berichten des rheinland-pfälzischen Verfassungsschutzes. Lediglich von der Bildung des „Aktionsbüros“ sei dort zu lesen. Über Skinhead-Konzerte der Chaos Crew Wittlich würde nicht berichtet. Anzeigen verliefen im Sande. Bei einer Veranstaltung im HOT im vergangenen Jahr hätten Jugendliche aus einem vorbeifahrenden Auto Hakenkreuzfahnen gehalten, „Sieg heil“ und „Heil Hitler“ gebrüllt – ohne Konsequenzen. Andreas Stein wird deutlich: „Auf die Behörden ist kein Verlass, es gibt Neonazis in Koblenz stärker als öffentlich gesagt.“

Die Koblenzer Polizei reagiert prompt darauf und gibt am 16.11.2012 bekannt, das sei übertrieben:

Koblenzer Polizei: Neonazi-Szene wurde bei Veranstaltung im HOT übertrieben dargestellt

Koblenz – Die Koblenzer Polizei widerspricht der Darstellung der Neonazi-Szene in der Region, die Andreas Stein vom antifaschistischen Infobüro Rhein-Main im Haus der offenen Tür (HOT) in Metternich präsentiert hatte (die RZ berichtete). Insgesamt hält das zuständige Kommissariat die Einschätzungen für überzeichnet und weist vor allem die Kritik an mangelnder Aufmerksamkeit und Strafverfolgung zurück.

Während der Referent der Infoveranstaltung im HOT am vergangenen Wochenende von Kameradschaften und Cliquen gesprochen hatte, von denen auch Übergriffe ausgegangen seien, schätzt Frank Thomas, Leiter des Kommissariats für politisch motivierte Kriminalität, die Situation anders ein. „Im Bereich des Polizeipräsidiums Koblenz gibt es keine organisierten rechtsextremen Kameradschaften mehr“, betont der Kriminalhauptkommissar. Kleinstgruppen mit einer Affinität zu rechtem Gedankengut seien bekannt. „Am Bahnhof ist eine Handvoll Jugendlicher mit Suchtproblemen unterwegs, die kein gefestigtes Weltbild hat und mal mit linken Punks, aber auch mit Nazis gesehen wird“, berichtet Thomas. Nicht ausschließen könne man, dass sich die meist aus einem schwierigen sozialen Umfeld stammenden jungen Leute auch Rechtsextremen anschließen würden.

Alle aus dem Umfeld der Cliquen bekannt gewordenen Übergriffe haben nach Angaben der Polizei zu Anklagen und Verurteilungen geführt. „Entscheidend ist, dass uns die Fälle bekannt werden, da sind wir auf Hinweise angewiesen“, betont Frank Thomas. Gleiches gelte für öffentliche Auftritte rechtsextremer Bands. „Konzerte von Blutkult und KJL konnten bisher nicht hinreichend konkretisiert werden, obwohl wir intensiv in diese Richtung ermitteln“, berichtet Thomas. „Hinweise, auch vom Infobüro Rhein-Main, nehmen wir gern entgegen“.

Zudem spielten rechtliche Aspekte gerade bei Konzerten eine große Rolle. „Nur unter äußerst engen Voraussetzungen können Konzerte verboten oder aufgelöst werden, weil auch rechte Musikveranstaltungen der Versammlungsfreiheit unterliegen können“, erklärt der Polizeibeamte. Werden solche Konzerte der Polizei im Vorfeld bekannt, gibt es umfangreiche Kontrollen.

Dass Anzeigen im Sande verliefen, will die Koblenzer Polizei so nicht stehen lassen. Bei einer HOT-Veranstaltung im vergangenen Jahr sollen Jugendliche aus einem vorbeifahrenden Auto die Hakenkreuzfahne geschwenkt und „Heil Hitler“ gebrüllt haben. „Die Ermittlungen erbrachten, dass das angegebene Kennzeichen auf einen Anhänger ausgegeben ist“, erklärt Thomas. Erst jetzt konnte in Erfahrung gebracht werden, dass Tatverdächtige bei Zeugen bekannt sein sollen. Allerdings seien diese Zeugen nicht zur Aussage bereit. „Ohne Zeugenbereitschaft sind aussichtsreiche Ermittlungen nicht möglich“, kritisiert der Kommissariatsleiter. Insgesamt könne im Bereich Koblenz von Naziterror keine Rede sein. „Das ist nahe an der Verhöhnung wirklicher Opfer rechten Terrors“, meint der Polizeibeamte. Und weiter: „Wir nehmen die Sache sehr ernst.“

Nach Auffliegen der Zwickauer Terrorzelle wurde von der Antifa Koblenz zu einer ehrlichen Diskussion über Neonazi-Strukturen aufgefordert.
Es bleibt dabei: wer wissen will, wo und wie Neonazis aktiv sind, kann sich nicht auf die Behörden verlassen.

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